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Einkaufsstraße Rush

Wandel der Innenstädte in Zeiten des Online-Handels und Homeoffice

Wie ein Virus das Stadtbild ändert

Es ist schon erstaunlich, es bedurfte nur eines unsichtbaren kleinen Virus, um seit Jahrzehnten verfestigte Gewissheiten in Frage zu stellen. Wenige Wochen des Lockdowns haben ausgereicht, um bei vielen Arbeitgebern den Argwohn gegenüber dem mobilen Arbeiten bzw. dem Homeoffice zu verflüchtigen.

Lesedauer: 7 Minuten

Wenig Zeit? Zusammenfassung am Artikelende

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Umfrage: 37 % der befragten CFOs deutscher Großkonzerne wollen ihre Büroflächen reduzieren

Im November 2020 stellte Deloitte eine unter 100 CFOs deutscher Großunternehmen mit jeweils mehr als 500 Mio. € Jahresumsatz durchgeführte Umfrage vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 66 % dieser Unternehmen planen, vermehrt auf Remote Working zu setzen. Immerhin 37 % der Befragten geben zudem an, aufgrund dessen ihre Büroflächen reduzieren zu wollen. Vor diesem Hintergrund zirkulieren derzeit diverse Papiere, welche einen Rückgang des Flächenbedarfs je nach Stadt und Branchenschwerpunkt um bis zu 20 % prognostizieren. 

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Dieser Sinneswandel binnen nur weniger Monate mag überraschen. Zwar wurde das World Wide Web schon in den 90ern eingeführt und auch der PC steht der breiten Bevölkerung seit mindestens zwei Jahrzehnten zur Verfügung. Dennoch arbeiteten 2019 noch immer nur knapp 10 % aller Beschäftigten der 27 EU-Staaten zumindest zeitweise im Homeoffice, obwohl die Voraussetzungen für agile Arbeitsformen schon lange gegeben sind. Während allerdings laut Eurostat jeder dritte Selbstständige das Homeoffice nutzte, waren es bei abhängig Beschäftigten gerade einmal 3,3 %, die regelmäßig von zuhause aus arbeiteten sowie weitere 6,3 %, die zumindest gelegentlich das Homeoffice nutzten. Außerdem ist das Arbeiten im Homeoffice oftmals ein Privileg, welches leitenden Angestellten und Vertretern der Wissenschaft sowie der IT- und Kommunikationsbranche vorbehalten war.  

Coworking-Szenario
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Dieser Umstand änderte sich mit dem Lockdown infolge der Corona-Pandemie schlagartig. Laut einer Analyse des ifo-Instituts vom Juli 2020 arbeiteten im April 2020 gut 34 % aller Beschäftigten ganz oder teilweise im Homeoffice. Bei Beschäftigten mit Hochschulabschluss waren es sogar 60 %. Und eine zügige Rückkehr ins Büro ist angesichts der zweiten Pandemie-Welle nicht absehbar. Noch im Juni 2020 arbeitete lediglich ein Drittel aller Beschäftigten durchgehend im Betrieb und die Hälfte jener, die pandemiebedingt ins Homeoffice verbannt wurde, würde gerne auch zukünftig zumindest teilweise dort arbeiten. 

Homeoffice-Szenario
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NEUE KONZEPTE FÜR STÄDTE SIND NOTWENDIG

Dies wird sich mittel- bis langfristig auch räumlich in den Städten manifestieren. Positiv dürfte sich dies auf jeden Fall auf die Verkehrsbelastung der Innenstädte auswirken. Die öffentlichen Verkehrsmittel, deren Kapazitäten vielerorts Grenzbelastungen ausgesetzt, wenn nicht sogar überfordert waren, erfahren durch Remote Working eine Entlastung. Außerdem sorgen geringere Pendlerzahlen grundsätzlich für einen Rückgang der Feinstaubbelastung und eine generelle Verbesserung des CO2-Footprints. 

Es könnte allerdings auch das Gegenteil eintreten: trotz der Entwicklung mehrerer Impfstoffe zur Bekämpfung von Covid-19, werden die Erfahrungen mit der Pandemie für lange Zeit im kollektiven Gedächtnis verhaftet bleiben, weshalb viele Menschen künftig Abstand von der Nutzung überfüllter öffentlicher Verkehrsmittel nehmen könnten. 

Es erscheint daher nur folgerichtig, dass das Fußgänger- und Radwegenetz innerhalb der Städte deutlich gestärkt, priorisiert und ausgebaut werden muss. So gelangt man bereits heute während der Stoßzeiten morgens und abends auf den wenigen ausgebauten Abschnitten des Radschnellwegs im Ruhrgebiet schneller mit dem Rad von einer Stadt zur nächsten als mit ÖPNV oder dem Pkw. Bei neuen Verkehrskonzepten für die Städte müssen der Ausbau des Angebots an Ladestellen für die E-Mobilität sowie des Car- und Bike-Sharings eine höhere Priorität genießen als bisher. Im Gegenzug könnte in Zukunft der Bedarf an Pkw-Stellplätzen spürbar sinken, wodurch vormalige Parkhausstandorte einer höherwertigen Nutzung zugeführt werden könnten. 

Schon heute sind nur 60 % der Büros belegt

Es stellt sich nicht zu Unrecht die Frage, ob all die Büros in deutschen Innenstädten überhaupt noch benötigt werden. Aber selbst dann, wenn sich der Flächenbedarf per Saldo nicht verändern sollte, wird es in den Innenstädten zu Veränderungen kommen. Covid-19 lieferte den notwendigen Impuls, um unser bisheriges Arbeitsplatzmodell zu überdenken und neue Workplace-Strategien zu implementieren. Denn eines ist sicher: mit der Einführung des Remote Workings in zahlreichen Firmen, verringert sich die Tagbevölkerung in Deutschlands Innenstädten maßgeblich.

Bereits in der Vergangenheit war es so, dass viele Büroarbeitsplätze wegen Urlaub, Krankheit, Besprechungen und Dienstreisen nur zu etwa 60 % der Zeit belegt waren. Diese Quote dürfte sich bei einer Gewährung von zwei bis drei Wochentagen im Homeoffice bei gegebenem Bürobestand nochmals verringern. Immerhin kommt die Studie des ifo-Instituts zu dem Ergebnis, dass bundesweit durchschnittlich etwa 56 % der abhängig Beschäftigten zumindest zeitweise von zuhause arbeiten könnten und in Großstädten sogar bis zu 65 %. 

Weniger belegte Büroflächen
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Eine Schrumpfung von Einzelhandelslagen ist unausweichlich

Aber für die Innenstädte ergeben sich auch noch andere Konsequenzen. Selbst wenn die Abstandsregeln und Maskenpflicht irgendwann Geschichte sind, wird der Rückgang der Tagbevölkerung für weitaus geringere Passantenzahlen in den Einzelhandelshochburgen führen. Hinzu kommt, dass es noch Jahre dauern dürfte, bis die Besucherzahlen im Städte-, Messe- und Kongress-Tourismus wieder das Niveau des Jahres 2019 erreichen. 

Der innerstädtische Einzelhandel ist zwar Kummer gewöhnt, immerhin sorgte bereits in der Vergangenheit der Siegeszug des Fachmarkt- und Shopping-Center-Segments in vielen Kleinstädten für ein Ausbluten der Fußgängerzone, aber erst der Lockdown trug dazu bei, dass sich der Online-Handel und Praktiken wie das kontaktlose Bezahlen in allen Teilen der Bevölkerung durchsetzen konnten. Es ist daher bereits jetzt absehbar, dass die Einkaufslagen vielerorts auf ein kleineres Kerngebiet zusammenschrumpfen werden. Auch ist bisher noch nicht absehbar, wie hoch die Zahl der Insolvenzen infolge der beiden Lockdowns in Hotellerie, der Gastronomie und im Einzelhandel sein wird. Eine von der IFH im Frühjahr 2020 auf Datenbasis der Vor-Corona-Zeit veröffentlichte Studie geht – je nach Variante – von rund 9.000 bis 50.000 Ladenschließungen bis zum Jahr 2030 aus. Dieser Zeitpunkt dürfte sich infolge von Covid-19 einige Jahre früher einstellen.

Der Hotellerie, der Gastronomie und dem Einzelhandel stehen folglich schwere Zeiten bevor. Ein ‚weiter so‘ verbietet sich vor diesem Hintergrund. Es wird sich zeigen, welche Händler in der Lage sind, sich mittels einer Omni-Channel-Strategie auf die Lage einzustellen. Auf jeden Fall dürfte es in allen drei Branchen in den kommenden Jahren zu einer Konsolidierung kommen. Kurzfristig werden die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sichtbare Spuren in Form von leerstehenden Geschäften und Gastronomiebetrieben hinterlassen. Mittelfristig haben es die Städte als Zentren des urbanen Lebens aber noch immer geschafft, sich neu zu erfinden. Dabei wird sich ein neues Gleichgewicht zwischen den bisher dominierenden Cities und ihrem Umland einstellen.  

Vororte und das Umland von Städten als neue Arbeitsorte

Nicht alle Arbeitnehmer sind darauf erpicht, von zuhause aus zu arbeiten oder können dies aufgrund ihrer Tätigkeit nicht. Einige wünschen sich aber dennoch, einige der während des Lockdowns kennengelernten Vorteile wie beispielsweise die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben durch Remote Working beizubehalten. So entstehen mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausweichstandorte für das Arbeiten. 

Auch könnten Flexible Office-Betreiber beispielsweise Standorte an gut erreichbaren, zentral gelegenen Verkehrsknotenpunkten in den Vororten eröffnen, sodass selbst die Arbeitnehmer, die nicht über geeignete Voraussetzungen im Homeoffice verfügen, nicht notwendigerweise jeden Tag lange Pendelwege zu ihrem Arbeitsplatz in der City auf sich nehmen müssten. Hierdurch entstünde eine ganz neue Dynamik innerhalb der Stadt. So dürften sich unweit solcher Coworking Spaces schon bald weitere Dienstleistungen und der Handel konzentrieren und vielen Schlafstädten so unter Umständen zu ein wenig Urbanität verhelfen. Für den Arbeitgeber hätte dies durchaus Vorteile: so könnte er seine wesentliche teurere Bürofläche in der City verringern und seinen Mitarbeitern anstelle dessen die Mitgliedschaft im Coworking Space am Wohnort finanzieren. 

Aber nicht nur Vororte im unmittelbaren Einzugsbereich könnten profitieren. In London und New York hat die Pandemie regelrecht einen Run auf größere Wohnimmobilien im weiteren Umland dieser Metropolen ausgelöst. Denn solange das öffentliche und kulturelle Leben in den Metropolen ruht oder massiv eingeschränkt wird, gibt es keinen Grund für die meist viel zu kleinen Wohnungen die überhöhten Mieten und Preise zu zahlen. Die Tatsache, dass man unter Umständen nur noch ein bis drei Tage zum Arbeitsplatz pendelt, erhöht die Bereitschaft, längere Pendelzeiten in Kauf zu nehmen. Viele der Erledigungen, die zuvor vor dem Heimweg noch in der Innenstadt erledigt wurden, erfolgen nun am Wohnort, wodurch dessen Zentrum unter Umständen eine Renaissance erlebt. 

Es bleibt festzuhalten, dass das Büro – selbst infolge einer größeren Verbreitung des Remote Working – nicht obsolet wird. Als Arbeitsplatz dürfte es aber mehr zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs, der Identifikation mit dem Unternehmen oder für Projektarbeit werden. Ob am Ende per Saldo mehr oder weniger Bürofläche benötigt wird, werden die kommenden Monate zeigen.  

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Für den innerstädtischen Immobilienmarkt bedeuten die oben skizzierten möglichen Entwicklungspfade allerdings vielerorts, dass die Nachfrage in gewissen Lagen spürbar zurückgehen wird und mit ihr auch die erzielbare Miete. Zentrale Verkehrsknotenpunkte sowie repräsentative Lagen dürften von diesem Trend weitgehend verschont bleiben, aber nur einen Steinwurf daneben könnte sich durchaus ein anderes Bild ergeben.  

Wandel vom Shoppingverhalten zur Coronazeit
Shopping-Meile in der Kölner Innenstadt
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Dies bietet anderen Nutzungen wie beispielsweise Wohnen oder jungen dynamischen Konzepten des Einzelhandels die Chance, sich wieder in den Innenstädten niederzulassen. Anstelle nachts toter Fußgängerzonen und tagsüber unbewohnter Schlafstädte, könnte durch eine vielseitigere Nutzungsdurchmischung an beiden Orten ganztägig neues Leben entstehen, wodurch beide Seiten profitieren würden. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, leer gefallene innerstädtische Shopping-Center und Warenhäuser durch gemischt genutzte Wohnquartiere zu ersetzen. Diese benötigen vor allem Treffpunkte und Orte zum Verweilen mit viel Grün. Riesige betonierte oder gepflasterte Plätze erfüllen dieses Kriterium eher weniger. Im Gegenteil: nicht selten werden monotone Fußgängerzonen oder Plätze nachts zu Angsträumen, die viele Menschen nach Einbruch der Dunkelheit meiden. Sofern beim anstehenden Umbau der Innenstädte nicht nur auf die Gewinnmaximierung geachtet wird, bietet sich infolge der Corona-Pandemie die Chance zur Gestaltung neuer nachhaltiger Quartiere. Es hängt daher im Wesentlichen von unserem Mut und unserer Fantasie sowie der Kooperationsbereitschaft aller betroffener Parteien – ob kommunal oder privat – ab, ob wir diese Herausforderung annehmen wollen und dadurch den anstehenden Strukturwandel mitgestalten. Das Zeitfenster für solche Veränderungen ist meistens begrenzt. Je eher wir uns der Aufgabe annehmen, desto positiver dürfte sich dies auf unsere Innenstädte und deren Dynamik auswirken. 

Zusammenfassung

Dass sich die deutschen Innenstädte verändern werden, zeichnet sich schon seit längerer Zeit ab – durch die Corona-Pandemie wird dieser Wandel allerdings massiv beschleunigt. Wann und ob sich die Passanten- und Besucherzahlen wieder dem Niveau aus 2019 annähern werden, ist fraglich. Der Hotellerie, der Gastronomie und dem Einzelhandel stehen zunächst jedoch schwere Zeiten bevor. Es ist allerdings bereits jetzt absehbar, dass die Einkaufslagen vielerorts auf kleinere Kerngebiete zusammenschrumpfen werden. Die Tatsache, dass Arbeitnehmer durch ein breiteres Homeoffice-Angebot nur noch an ein bis drei Tagen zum Arbeitsplatz pendeln, erhöht außerdem die Bereitschaft, längere Pendelzeiten in Kauf zu nehmen. Viele der Erledigungen, die zuvor vor dem Heimweg noch in der Innenstadt erledigt wurden, erfolgen dann folglich am Wohnort.

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Holger Weber Ansprechpartner für Research Image Description

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Holger Weber

Head of Research

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